divia Gmbh 16. Dezember 2013

Energiewende von unten (2): Bürgerwiderstand beim Netzausbau

 

Strommasten Stein des Anstoßes: Strommasten in der Nachbarschaft stoßen vielerorts auf Empörung engagierter Bürger.

Neue Trassen braucht das Land. Deutschland befindet sich inmitten einer beispiellosen Transformation seines kompletten Energiesystems; ein radikaler Wandel, der nur als Gemeinschaftswerk gelingen kann. Doch bisher ist die konsequente Umsetzung einer gesellschaftlich tragfähigen Gestaltung der Energiewende zu kurz gekommen. Die Folge sind vehemente Widerstände überall dort, wo die Energiewende in Form neuer Höchstspannungstrassen konkrete Veränderungen nach sich zieht. Für den Zeitplan der Energiewende wird es langsam eng.

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und der SPD heißt es dazu auf Seite 58: „Aufgrund der hohen Dringlichkeit des Netzausbaus für das Gelingen der Energiewende ist eine breite Akzeptanz der Bevölkerung notwendig, die heute noch in vielen Fällen nicht gegeben ist“. Wie es zu dieser „Dringlichkeit“ kommt und warum „eine breite Akzeptanz“ in „vielen Fällen“ gefährdet ist, ist Thema dieses Blogposts.

Was ist der Netzausbau?

Der Netzausbau ist eine der zentralen Herausforderungen der Energiewende. Denn mit dem Umstieg hin zu erneuerbaren Energien geht auch ein Umbau des deutschen Stromnetzes einher. Während momentan der Löwenanteil des Stroms überwiegend dort, wo er auch verbraucht wird produziert wird, muss der Strom aus erneuerbaren Energien zukünftig größere Strecken überwinden. Dabei spielen besonders norddeutsche On- und Offshore-Windenergieanlagen eine entscheidende Rolle.

Wie in meinem letzten Blogpost bereits dargestellt schreitet der Ausbau der erneuerbaren Energien, nicht zuletzt aufgrund des massiven Bürgerengagements für die Energiewende, schnell voran. Der entsprechende Ausbau der Stromleitungen kann damit momentan nicht Schritt halten. Denn für den „Abtransport“ des produzierten Stroms in die Verbrauchszentren nach Nordrhein-Westfalen, Baden Württemberg und Bayern, bedarf es eines ausreichend leistungsfähigen und stabilen 380-kV-Übertragungsnetzes.

Das Problem: Das bestehende Stromnetz in Deutschland befindet sich bereits an der Kapazitätsgrenze; es ist schlicht nicht für den Transport solch enormer Energiemengen ausgelegt. Deshalb sehen die Pläne der Bundesregierung vor, drei große Nord-Süd-Trassen mit einer Gesamtlänge von 2.700 Kilometern zu bauen, und gleichzeitig etwa 2.900 weitere Kilometer bestehender Trassen umzubauen. Der zusätzliche Neubau von 1.855 Kilometern an neuen Trassen wurde dabei als vordringlich eingestuft.

Verzögerungen gefährden die Energiewende

Bei der Vorstellung dieser Pläne machten die Vertreter der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) – TransnetBW, Amprion, 50Hertz Transmission, Tennet TSO – einen Zusammenhang ganz deutlich: „Das Tempo des Netzausbaus bestimmt das Tempo der Energiewende. Wenn er weiterhin hinter der Ausbaugeschwindigkeit der erneuerbaren Erzeugungsanlagen zurückbleibt, sind die Ziele der Energiewende und die Versorgungssicherheit gefährdet.“ Genau dies ist momentan der Fall. Denn selbst der Bau der als prioritär eingestuften 1.855 Trassenkilometern ist weit hinter dem Zeitplan: Mit 268 Kilometern wurden erst 14,5% des prioritären Netzausbaus geschafft, in 2013 kam kein einziger neuer Kilometer Stromleitung dazu, wie der neueste Monitoring-Bericht der Bundesnetzagentur verrät. Nun widersprechen die Übertragungsnetzbetreiber: 2013 seien sehr wohl ganze 52 Kilometer neuer Trassen gebaut worden. So oder so zu wenig.

Die oberste deutsche Regulierungsbehörde für das Stromnetz stellt fest: „Ursprüngliches Ziel war es, einen Großteil der Vorhaben bis zum Jahr 2015 zu verwirklichen. […] Bei realistischen Schätzungen ist jedoch davon auszugehen, dass bis 2016 nur etwa 50 Prozent erreicht werden.“. Spätestens wenn das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld bei Schweinfurt Ende 2015 vom Netz geht, wird diese Verzögerung zum ernsthaften Problem, nicht nur für die Energiewende, sondern auch für die Versorgungssicherheit in Deutschland. Denn irgendwo muss der Strom ja dann herkommen. Ohne geeignete Stromleitungen sieht es buchstäblich düster aus.

Betroffene Bürger machen mobil

Kurz nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima, sprach Bundeskanzlerin Merkel eine Warnung aus. Am 17. März 2011 sagte sie im Bundestag: „Wer erneuerbare Energien will, darf sich den dafür erforderlichen großen Stromtrassen, die neu gebaut werden müssen, nicht verweigern“. Doch eben gegen diesen Ausbau der Höchstspannungsnetze hat sich vielerorts lokaler Widerstand formiert. Entsprechend problematische Genehmigungsverfahren sind der Hauptgrund der massiven Verzögerungen im Netzausbau.

Obwohl also die Energiewende in Deutschland generell auf breite Zustimmung trifft, stoßen dazugehörige Maßnahmen wie der Netzausbau auf starke Ablehnung in betroffenen Regionen. „Energiewende: Ja, bitte; Netzausbau vor der eigenen Haustür: Nein, danke“, könnte das Motto lauten; einen paradoxen Zielkonflikt, den die Wissenschaft als Not-In-My-Backyard- Phänomen bezeichnet: Lokaler Widerstand gegen Infrastrukturprojekte, die generell als sinnvoll erachtet werden aber von unmittelbar betroffenen Bürgern als bedrohlicher Eingriff in ihre Lebensumwelt empfunden, und daher abgelehnt werden. So fürchten Betroffene die „Verschandelung“ des Landschaftsbildes, Immobilienpreisverluste, Umweltschäden, Tourismuseinbußen, Elektrosmog, Lärm und gesundheitlichen Risiken.

Es geht um Mitsprache

Die Energiewende fällt in eine Zeit, die durch das öffentliche Debattenfeld nach der Konflikteskalation um das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ von Forderungen nach mehr Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen gebrandmarkt ist. Alle an Infrastrukturvorhaben beteiligten Akteure sollten dabei gelernt haben, dass das Gelingen von Großprojekten maßgeblich von dem Willen und der Akzeptanz der Bürger abhängt. (Betroffene) Bürger sind legitime Stakeholder und wollen entsprechend beteiligt werden. Dabei sind Forderungen nach mehr Transparenz und Beteiligung kein kurzzeitiger Trend, sondern stehen vielmehr für eine nachhaltige Veränderung.

Wer sich die Widerstände gegen den Netzausbau genauer anschaut, dem fällt auf, dass es den betroffenen Bürgern um weit mehr als nur um das „ob“ und „wie“ des Netzausbaus geht: Denn die Triebfeder des Widerstands ist aber eine andere: Motiviert durch ein tiefgreifendes Misstrauen den Vorhabenträgern gegenüber fordern die Bürger entschlossen mehr Mitspracherechte an der Gestaltung von Veränderungsprozessen; ein Ausmaß an Bürgerbeteiligung, das die meisten vom Netzausbau Betroffenen derzeit innerhalb der formellen Genehmigungsverfahren nicht befriedigt sehen. Technisch versiert, professionell organisiert und kampagnentaktisch geschickt sind die Bürger nun eher bereit als früher, solche unmittelbaren Veränderungen in Ihrer eigenen Lebensumwelt kritisch zu hinterfragen und ihre Partikularinteressen vehement zu artikulieren.

 

In vielen betroffenen Ortschaften regt sich Bürgerwiderstand gegen den Netzausbau. In vielen betroffenen Ortschaften regt sich Bürgerwiderstand gegen den Netzausbau.

„Wir wollen mit unserem Engagement zeigen, dass wir nicht alles hinnehmen, sondern mitreden wollen und auch mitgestalten“, erklärt Peter Gosslar, Sprecher der bundesweiten Bürgerinitiative „Pro Erdkabel“, das allgemeingültige Geleitwort der Bürgerproteste gegen den Netzausbau. Das Aufbäumen der Betroffenen ist somit nicht gegen die Energiewende an sich gerichtet, sondern gegen die bisherige Umsetzungspolitik. Die Bürger wollen an den Planungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt werden, um sicher zu stellen, dass ihre Meinungen tatsächlich Einfluss haben; Einfluss, der ihnen als Stakeholdern der Energiewende zusteht.

Betroffene Bürger schlicht als egoistische Blockierer abzustempeln, ist daher zu oberflächlich. Denn in letzter Konsequenz hat der Konflikt um den Netzausbau etwas kreativ-konstruktives: Die Bürgerwiderstände sind Zeugnis einer neuen Beteiligungskultur in der Bundesrepublik, die die Vorhabenträger des Netzausbaus zu einem Strategiewechsel zwingt.

Bürgerbeteiligung ist Problem und Lösung zugleich

Nach konventionellem Verständnis stehen sich hierbei zwei klare Forderungen – die nach mehr qualitativer Bürgerbeteiligung und die nach der unverzüglichen Beschleunigung der Verfahren – unversöhnlich gegenüber. Doch nur scheinbar. Denn tatsächlich ist Bürgerbeteiligung sowohl Teil des Problems, als auch Teil der Lösung.

Richtig umgesetzt kann sich eine kluge Beteiligung nicht nur inhaltlich verbessernd, sondern auch risikominimierend und akzeptanzfördernd auf das Vorhaben auswirken. Durch die breitere, komplettere Basis von Erfahrungen, Informationen und Ideen kann kollektive Intelligenz aktiviert werden (Stichwort Crowdsourcing), um bessere Lösungen für komplexe Problemlagen zu entwickeln. So kann Beteiligung unter dem Strich sogar zu einer schnelleren und besseren Umsetzung führen und somit einen Effizienzgewinn in der Verfahrensdauer darstellen – auch beim Netzausbau.

Energiewende = „Beteiligungswende“

Damit das klappt, müssen sich Organisationen ihren Stakeholdern öffnen, sich mit ihnen ernsthaft auseinandersetzen und deren strategischen Einfluss tatsächlich zulassen. Daher befindet sich Deutschland derzeit nicht nur inmitten einer energiewirtschaftlichen Transformation, sondern auch inmitten eines grundlegenden Wandels seiner Beteiligungskultur.

Welche Auswirkungen dies auf die moderne Unternehmensführung hat, welche Rolle dialogorientierte Kommunikation dabei spielt und inwiefern das Internet – insbesondere Social Media – ein zentraler Baustein sein kann, ist Thema meines nächsten Blogposts.

Dieser Beitrag wurde von <a href="https://www.xing.com/profile/JohannesTh_Noeldeke">Johannes Nöldeke</a> geschrieben

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Beiträge von Gastautoren oder ehemaligen divia Mitarbeitern