divia Gmbh 31. Oktober 2013

Wer ist eigentlich immer diese „Energiewende“?

Energiewende, dieses omnipräsente, monumentale Schlagwort. Kaum ein Tag vergeht, an dem sich öffentliche Diskussionen nicht ausgiebig dem Netzausbau, dem EEG, Offshore-Anlagen, Speichertechnologien oder „Smart Grids“ widmen. Dabei sind sich fast alle einig: Die Energiewende ist nicht nur die größtmögliche infrastrukturelle Herausforderung des 21. Jahrhunderts, sondern sie ist auch sinnvoll. Umstrittener ist dagegen die genaue Umsetzungspolitik.

Doch worum geht es bei der Energiewende eigentlich, wo kommt die Idee her und warum sollte uns das interessieren? In diesem zweiten Beitrag zum Schwerpunktthema Energie beschäftige ich mich mit diesen Fragen.

Ursprünge und Entwicklung einer Idee

Wie Daniel Reissmann kürzlich in seinem Energieblog24 darstellte, stammt die Idee, die Energieversorgung nicht allein auf Basis fossiler Ressourcen zu stützen, bereits aus dem Großbritannien des 16. Jahrhunderts. Schon damals war dies getrieben von der Sorge, der damalig dominante Energieträger Kohle sei irgendwann einmal erschöpft. Jedoch dauerte es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, bis diese Ängste von einem wachsenden Anteil der Bevölkerung geteilt wurden. Die Anfänge der heute weit verbreiteten Photovoltaik- und Windkraftanlagen entwickelten sich im 18. und 19. Jahrhundert: Zu den Pionieren der Entwicklung von erneuerbaren Energien zählt der Schweizer Forscher Horace-Bénédict de Saussure, der bereits 1767 den ersten Sonnenkollektor zur Energiegewinnung baute. Die erste Windkraftanlage der Welt wurde im Jahr 1891 von dem dänischen Meteorologen Poul la Cour gebaut; eine Technologie, die insbesondere in ländlichen Gebieten im frühen 20. Jahrhundert große Vorbereitung erfuhr: Bis in die 1930er Jahre wurden auch in Deutschland etwa 3.600 Windmühlen, auch zum Zwecke der Stromerzeugung errichtet.

Die Ölkrise als Triebfeder der Energiewende

Energiewende: Die Abkehr von der Atomenergie Energiewende: Die Abkehr von der Atomenergie zu den Erneuerbaren

Der heutige, strukturierte Umbau des Energiesystems, hinzu die Ablösung fossiler Energiequellen durch erneuerbare Energien, stammt aus der Mitte der 70er Jahre. Im Herbst 1973 drehte die Organisation der erdölfördernden Länder (Opec) den Ölhahn zu. Folglich kam es weltweit zu Engpässen, die Preise für Treibstoff und Heizöl stiegen (auf ein Niveau, das uns heute nur mehr ein sehnsüchtiges Lächeln abringt), Ängste vor Mobilitätsverlust und dem Kollaps der Wirtschaftsordnung gingen um. Der Begriff „Energiewende“ fand indes erstmalige Erwähnung in der 1980 veröffentlichten Studie „Energiewende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“ des Freiburger Öko-Instituts.

Erste große Schritte auf bundespolitischer Ebene wurden unter der rot-grünen Bundesregierung (1998-2005) gemacht. Dabei spielt der im Jahr 2000, zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen geschlossene „Atomkonsens“ – der zukünftige Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie – eine bedeutende Rolle. Nahezu zeitgleich wurde das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zur Förderung des Ausbaus von erneuerbaren Energien verabschiedet. Mit dem Regierungswechsel und dem Kabinett Merkel II erfuhr die deutsche Energiepolitik jedoch eine erneute Kehrtwende: Im Herbst 2010 beschloss die schwarz-gelbe Bundesregierung eine deutliche Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke; eine Entscheidung, die jedoch nur eine kurze Verweildauer hatte.

Fukushima und die Folgen

Die deutsche Stromnetzlandschaft ist im Umbruch: Als direkte Reaktion auf die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 beschloss die Bundesregierung durch eine Novellierung des Atomgesetzes den Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie. Bereits während desselben Jahres wurden acht Atomkraftwerke vom Netz genommen, die übrigen neun Kernkraftwerke sollen bis 2022 gestaffelt abgeschaltet werden. Zudem wurde beschlossen, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen: Der Plan der Bundesregierung sieht vor, den Anteil an Strom aus regenerativen Energiequellen bis zum Jahr 2020 auf 30%, und bis 2050 auf 80% der Stromversorgung in Deutschland zu steigern und damit Deutschlands Energieversorgungssystems im laufenden Betrieb grundlegend umzubauen. Ziel ist es, bis 2020 die Treibhausgasemissionen um 40% gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren.

Umsetzung mit Ecken und Kanten

Doch wo man auch hinsieht, hakt es bei der Umsetzung des Jahrhundertprojekts: Während der Ausbau der erneuerbaren Energien planmäßig voranschreitet – Strom aus erneuerbaren Energiequellen machen derzeit bereits über 22% der Stromversorgung aus – liegen die momentanen Herausforderungen vor allem in den Bereichen Speichertechnologien, Netzausbau, Energieeffizienz und den zu reformierenden regulatorischen Rahmenbedingungen. Hinzu kommt eine drastische Strompreisentwicklung, die die anfängliche Akzeptanz der Energiewende – laut TNS Infratest-Studie vom August 2011 befürworten 94% der Deutschen den energiepolitischen Kurs der Bundesregierung – zu gefährden droht. Auch auf Seiten der Energieversorgungsunternehmen stößt die Energiewende schon längst nicht mehr auf Gegenliebe; der E.on-Aufsichtsratschef Werner Wenning nannte die Energiewende kürzlich einen „Albtraum“. Die kommenden Blog-Posts mit dem Schwerpunktthema Energie werden sich vertiefend mit diesen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Energiewende befassen.

Lernen zu lernen

Bisherige Kurskorrekturen können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die energiepolitische Steuerung der Bundespolitik bisher ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept auskommt. Für die neue Bundesregierung gilt es, sich schleunigst den zahlreichen offenen Baustellen der Energiewende zu widmen. Die Umsetzung der Energiewende ist aber bei Weitem nicht allein Aufgabe der Bundespolitik: Nach dem Motto „Du bist Energiewende!“ kann ein solch ambitioniertes Projekt nur als Gemeinschaftswerk gelingen. Dabei sind Innovationskraft und die Fähigkeit, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, Schlüsselkompetenzen. Denn bei einem so großflächig angelegtem Wagnis wie der Energiewende kann es keinen fehlerlosen, vorher festgelegten Masterplan geben. Vielmehr ist die Umsetzung der Energiewende ein gesamtgesellschaftlicher Lernprozess - und zwar für alle.

Wäre die drastische Strompreisentwicklung nicht, könnte es dem Stromkunden eigentlich egal sein, wie "die da oben" die Energiewende umsetzen. Vielen ist es auch egal; Hauptsache der Strom fließt und ist erschwinglich, man habe ja sowieso keinen Einfluss auf die Energiepolitik. Andere wiederum realisieren zunehmend ihre Marktmacht und machen eben diesen Einfluss geltend. Die Energiewende wird so zu einer Bürgerenergiewende "von unten", mit dem Bürger als Stakeholder und Mitgestalter. Davon handelt mein nächster Blogpost.

 Dieser Beitrag wurde von <a href="https://www.xing.com/profile/JohannesTh_Noeldeke">Johannes Nöldeke</a> geschrieben
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