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Wann stirbt Twitter endlich?

Geschrieben von Dr. Martin Reti | 10. August 2015

Gute Nachrichten – ja, die gab es auch. Und das ist noch nicht mal so lange her: Am 28. Juli machte die Twitter-Aktie einen Sprung um 10 Prozent nach oben. "A klois Feuerwerkle", wie man bei uns in Schwaben sagt. Ansonsten kannte die Aktie nur eine Richtung: beständig Richtung Nulllinie. Wie lange macht es der Kurznachrichtendienst noch?

Twitter im freien Fall

Fair ist das natürlich nicht, den Aktienkurs als alleinige Bewertung des Wertes eines Unternehmens heranzuziehen – aber so ganz unrichtig ist es auch nicht. Immerhin verfolgen Unternehmen ja ein zentrales Ziel und das liegt nun leider nicht darin, die Welt mit Ultrakurznachrichten zu versorgen oder Mitarbeiter regelmäßig mit großzügigen Gehältern zu versorgen, sondern Gewinne zu erwirtschaften. Und in letzterer Disziplin ist Twitter nicht besonders gut. 2014 stand den Aktionären ein Konzernjahres"überschuss" von 577 Mio US-Dollar zur Verfügung. MINUS. Versteht sich.

 

Ein Silberstreif – schnell weggewischt

Denn schwarze Zahlen – die kennt bei Twitter eigentlich niemand. Als die letzten Quartalszahlen für Q2/2015 ermittelt wurden (28. Juli) war Gerüchten zufolge das halbe Unternehmen damit beschäftigt, die schwarzen Kartuschen für den Drucker der IR-Abteilung zu suchen. Erste Gewinne! Naja, vor Sonderposten. Aber immerhin Umsatzplus von 61 Prozent (auf 502 Mio. US Dollar). Und dann krönten die Mitglieder der Führungsriege, Jack Dorsey und Anthony Noto, die Situation mit den Aussagen, dass Twitter zu kompliziert sei und dass die Nutzer überhaupt nichts wüssten, was sie überhaupt bei Twitter treiben.

Übersetzt in verständliches Deutsch heißt das so viel wie: "Danke, dass Ihr unsere Plattform mit Leben füllt – aber Ihr seid alle blöd. Deswegen passt Ihr so gut zu uns: Wir wissen auch nicht, wie es weitergehen soll".

Das Kapital von Twitter

Die Aktiva von Twitter sind seine weltweit knapp 300 Millionen Nutzer, dazu ein Name, der in der digitalen Welt bekannt (und gesetzt) ist. Twitter unterhält interessante Partnerschaften, beispielsweise mit IBM. Twitter ist momentan die führende Plattform für Echtzeit-Information. Und unser liebster Second Screen während Tatort und Fußball. Man wünschte sich, Deutschland würde wieder mal Fußball-Weltmeister, bekäme einen frischen Astro-Alex oder wenigstens ein frisches Baby für Beyoncé ... dann stände gar wieder ein neuer Rekord an.

Gelebte Intransparenz

Fakt ist: Deutschland ist mit Twitter nie recht warm geworden und Twitter hat schon längst kein Interesse mehr der Welt oder womöglich Deutschland zu zeigen, wie es gedeiht. Nationale Nutzerzahlen? Allenfalls mal eine Gesamtzahl für die Welt. Nutzungsdauern? Tweetdichte? Fehlanzeige. Solcherlei Informationshaltung erzeugt dann kuriose Blüten, beispielsweise wenn es darum geht, eine Zahl für die deutschen Twitterati abzugeben. Christian Buggisch zitiert Allensbach (1 bis 2,3 Millionen), Daniel Rehn den alljährlichen wearesocial-Report (5,66 Millionen) und Statista nennt 3,83 Millionen – die Wahrheit, sie bleibt im Dunklen. Von wegen Zeitalter der Transparenz. Naturwissenschaftler raufen sich angesichts solcher prozentualer Abweichungen die Haare ;)

Aus der Perspektive von Twitter kann das nur zweierlei bedeuten: Entweder die Verantwortlichen wissen nicht Bescheid (ganz schlecht, aber schwer vorstellbar) oder aber sie wissen Bescheid und behalten das lieber für sich. Ein Wachstum von 2 Millionen Nutzern pro Quartal gilt für einen führenden Social-Media-Dienst nicht gerade als Ruhmesblatt.

Abgesang, künstliche Beatmung oder was?

Summieren wir alle diese Momente, ergibt sich kein allzu rosiges Bild: Die Führungsmannschaft weiß nicht, wohin, jeden Monat wird Geld im 100-Mio-Dollar-Maßstab verbrannt, der Dienst entwickelt sich nicht weiter (weder qualitativ noch quantitativ), die Kommunikationspolitik wird auf das Nötigste beschränkt. Kein Wunder werden da die Rufe nach dem Retter laut – am liebsten Google. Sicher lassen sich stichhaltige Gründe finden, weshalb Google Twitter kaufen sollte. Meistens laufen sie auf "Ich will der Größte bleiben/werden" hinaus. Leisten kann es sich Google. Aber ist Twitter tatsächlich 20 Milliarden Dollar wert? WOFÜR??? Der Techjournalist Amir Efrati kommentiert das mit "Also Larry doesn't give a f--k about Twtr."Und die Diskussion, die sein Tweet auslöst, zeigt, dass zumindest die US-amerikanischen Twitternutzer sich ein Leben ohne Twitter kaum vorstellen können. Umso interessanter wäre es eine Welt ohne Twitter zu sehen. Die Größe der Plattform allein als Garantie dafür anzusehen, dass es sie immer geben wird, das hat zu wenig Substanz.

Die Frage ist vielmehr, ob eine externe Übernahme das Sterben von Twitter nur in die Länge zieht. Wenn Twitter in dieser Form weiter existiert, werden wir 2018 nicht mehr "WIR SIND WELTMEISTER!!!" twittern. Oder wird es einem externen Management gelingen, Twitter in die Erfolgsspur zu bringen? Nicht jede bekannte Digitale-Welt-Geschichte muss auch eine Erfolgsgeschichte sein. Vielleicht wird Twitter einmal ein Lehrbuch für ein grandioses Scheitern. Die Uhr läuft …